Archiv für den Monat: September 2014

Blick in ferne Zukunft

robin-stege-schafe … Und wenn alles vorüber ist -; wenn sich das alles totgelaufen hat:

der Hordenwahnsinn, die Wonne, in Massen aufzutreten, in Massen zu brüllen und in Gruppen Fahnen zu schwenken, wenn diese Zeitkrankheit vergangen ist, die die niedrigen Eigenschaften des Menschen zu guten umlügt;

wenn die Leute zwar nicht klüger, aber müde geworden sind; wenn alle Kämpfe um den Faschismus ausgekämpft und wenn die letzten freiheitlichen Emigranten dahingeschieden sind:
dann wird es eines Tages wieder sehr modern werden, liberal zu sein.

Dann wird einer kommen, der wird eine gradezu donnernde Entdeckung machen: er wird den Einzelmenschen entdecken. Er wird sagen: Es gibt einen Organismus, Mensch geheißen, und auf den kommt es an. Und ob der glücklich ist, das ist die Frage. Dass der frei ist, das ist das Ziel. Gruppen sind etwas Sekundäres – der Staat ist etwas Sekundäres. Es kommt nicht darauf an, dass der Staat lebe – es kommt darauf an, dass der Mensch lebe.

Dieser Mann, der so spricht, wird eine große Wirkung hervorrufen. Die Leute werden seiner These zujubeln und werden sagen: »Das ist ja ganz neu! Welch ein Mut! Das haben wir noch nie gehört! Eine neue Epoche der Menschheit bricht an! Welch ein Genie haben wir unter uns! Auf, auf! Die neue Lehre!«

Und seine Bücher werden gekauft werden oder vielmehr die seiner Nachschreiber, denn der erste ist ja immer der Dumme.

Und dann wird sich das auswirken, und hunderttausend schwarzer, brauner und roter Hemden werden in die Ecke fliegen und auf den Misthaufen. Und die Leute werden wieder Mut zu sich selber bekommen, ohne Mehrheitsbeschlüsse und ohne Angst vor dem Staat, vor dem sie gekuscht hatten wie geprügelte Hunde. Und das wird dann so gehen, bis eines Tages…

Kurt Tucholsky, 1930. Aufgenommen auch in: “Deutschland, Deutschland über alles”

Fusionswelle macht keinen Halt vor der EU – alles wird größer, schöner und einfacher

Bevoelkerung_bis_2060Mit einem massiven Umbau innerhalb ihres Hoheitsgebietes will die Europäische Union (EU) in den nächsten drei Jahren ihre Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit stärken. Nach den heute von Kommissions-Präsident Cordelius Alt-Ponti vorgestellten Plänen sollen aus den bislang 27 Mitgliedsstaaten 12 werden.

Dabei geht es nicht nur um die  Ineffizienz kleiner Staaten wie Luxemburg. “Wir verbrauchen derzeit sehr viel Kraft mit Reibungsverlusten und Doppelstrukturen, mit babilonischem Sprachgewirr und einer Vielzahl nicht miteinander harmonierender Gesetze”, erklärte Alt-Ponti in Brüssel. Die neuen Einheiten seien nicht am Reißbrett entstanden, sondern allein aus der Weisheit der Kommission heraus geboren, die dabei nach eigenen Angaben auch historische Irrtümer berücksichtigt hat.
So soll Deutschland nicht etwa mit Österreich, sondern mit Polen und Tschechien fusioniert werden. Die bisher unabhängige Schweiz wird mit Österreich und Südtirol zum Euro-Alpenland. Frankreich soll – bei leichten Grenzarrondierungen – bis an die Westfriesischen Inseln in der Nordsee reichen.

Auch innerhalb der neuen Länder soll es zu einer Straffung der Organisationsstruktur kommen. Die derzeitigen deutschen Bundesländer sollen abgeschafft werden, die Ministerpräsidenten werden zu Regionalpräsidenten und bilden als Jubel-Perser die demokratische Staffage rund um die Regierungs-Chefin.

Auf kommunaler Ebene soll es klare Mindeststandards geben. Zu einer funktionsfähigen Gemeinde gehörten mindestens eine Kita, ein Allgemein- und ein Tierarzt, ein Seniorenpflegeheim sowie ein konfessionsunabhängiger Friedhof. Die ursprünglich ebenfalls für die Daseinsvorsorge als notwendig erachteten Parameter Hebamme, Grundschule und Lebensmittelgeschäft wurden hingegen nicht  in den Kriterienkatalog aufgenommen; stattdessen soll eine Internet-Breitbandversorgung vorgeschrieben werden. “Wo Gemeinden das nicht vorhalten können, müssen sie mit Nachbarn fusionieren”, erklärte Cordelius Alt-Ponti.

Kritik, die Neuordnung Europas komme ein wenig von oben herab und orientiere sich zu wenig an den Bedürfnissen der Menschen in den Regionen, wehrt Alt-Ponti entschieden ab: “Unser Auftrag ist der Erhalt Europas und ihre Verteidigung gegen räuberische Götter.
Man kann nicht erwarten, dass die einzelnen kleinen Bürger dieses große Ganze im Blick haben. Jeder wird Opfer bringen müssen. Aber am Ende der Tage werden die Menschen merken, dass alles auch zu ihrem Besten war.”