Archiv der Kategorie: Tucholsky

Der bewachte Kriegsschauplatz

papp-panzer_tucholsky_deutschland-deutschland-ueber-allesIm nächsten letzten Krieg wird das ja anders sein… Aber der vorige Kriegsschauplatz war polizeilich abgesperrt, das vergisst man so häufig. Nämlich:

Hinter dem Gewirr der Ackergräben, in denen die Arbeiter und Angestellten sich abschossen, während ihre Chefs daran gut verdienten, stand und ritt ununterbrochen, auf allen Kriegs­schauplätzen, eine Kette von Feldgendarmen. Sehr beliebt sind die Herren nicht gewesen; vorn waren sie nicht zu sehen, und hinten taten sie sich dicke. Der Soldat mochte sie nicht; sie erin­nerten ihn an jenen bürgerlichen Drill, den er in falscher Hoff­nung gegen den militärischen eingetauscht hatte. Der bewachte Kriegsschauplatz weiterlesen

Die Beamtenpest

I.
Allein vom Staate wurde die Kultur doch in hohem Grade positiv und negativ bestimmt und beherrscht, indem er von jedem einzelnen vor allem verlangte, dass er Bürger sei. Jeder einzelne hatte das Gefühl, dass die Polis in ihm lebe.
Diese Allmacht der Polis aber ist wesentlich verschieden von der modernen Staatsallmacht. Diese will nur, dass ihr niemand materiell entwische, jene wollte, dass jeder ihr positiv diene, und mischte sich deshalb in vieles, was jetzt dem Individuum überlassen bleibt.
(Jacob Burckhardt: Weltgeschichtliche Betrachtungen)

[…] In den »Weltgeschichtlichen Betrachtungen«, diesem großen Weltbild eines der letzten liberalen Europäer, zeichnet Jacob Burckhardt die griechische Polis mit liebevollen Strichen. Der Vergleich mit den schweizerischen Städten fällt sofort auf: dort der große, mechanistische Staat, der nur materialistische Interessen vertrete; hier das feine, geistige, oligarchische und fast aristokratische Staatsgefüge, das eben vermöge seiner Kleinheit andern Gesetzen unterliege als die Kolosse… es ist wie ein Klageruf um Vergangenes und Vergehendes.
Burckhardt könnte heute zufrieden sein, wie-? Da ist nun ein Europa, in dem es von kleinen und kleinsten Staaten wimmelt; jede kleine Gruppe ist zu einem Staatswesen geronnen, überall flattern neue Fahnen im Wind… Die Beamtenpest weiterlesen

Der Mensch (hat immer eine Fahne)

Ein Schulaufsatz von Kaspar Hauser

Der Mensch hat zwei Beine und zwei Überzeugungen: eine, wenn’s ihm gut geht, und eine, wenn’s ihm schlecht geht. Die letztere heißt Religion.
Der Mensch ist ein Wirbeltier und hat eine unsterbliche Seele, sowie auch ein Vaterland, damit er nicht zu übermütig wird.

Der Mensch wird auf natürlichem Wege hergestellt, doch empfindet er dies als unnatürlich und spricht nicht gern davon. Er wird gemacht, hingegen nicht gefragt, ob er auch gemacht werden wolle. Früchte im Mutterleib werden vom Staat geschützt, solange sie noch nicht draußen sind; wenn sie erst einmal draußen sind, erlischt dieses Interesse. Der Mensch (hat immer eine Fahne) weiterlesen

Tucholskys Verkehr – mit aktueller Anmerkung zum Ampelgehorsam

Der Verkehr

Der Verkehr ist in Deutschland zu einer nationalen Zwangsvorstellung geworden. Zunächst sind die deutschen Städter auf ihren Verkehr stolz. Ich habe nie ergründen können, aus welchem Grunde. Krach auf den Straßen, Staub und viele Autos sind die Begleiterscheinung eines Städtebaues, der mit den neuen Formen nicht fertig wird – wie kann man darauf stolz sein?

Es ist wohl so, dass sich der Einzelne als irgendetwas fühlen muss – der soziale Geltungsdrang, an so vielen Stellen abgestoppt, gebremst, zunichte gemacht, findet hier sein Ventil und dringt zischend ins Freie. „Was sagen Sie zu dem Verkehr bei uns?“ Da sagen wir denn also, dass er überall in Deutschland, ohne jede Ausnahme, viel kleiner ist als etwa der in Paris – die Pariser aber sind über ihre verunstalteten Boulevards todunglücklich und trauern der alten, schönen Zeit nach, da man dort noch spazieren gehen konnte… heute bläst es aus tausend Hupen. Tucholskys Verkehr – mit aktueller Anmerkung zum Ampelgehorsam weiterlesen

Deutsche Richter

Von einer Vertrauenskrise der Justiz kann in Wahrheit keine Rede mehr sein. Eine Krise ist jener ungewisse Zustand, in dem sich etwas entscheiden soll: Tod oder Leben – Ja oder Nein. Die deutsche Arbeiterschaft hat entschieden: Nein.
Abgesehen davon, dass es keinen unpolitischen Strafprozess gibt, weil in der Welt überhaupt nichts unpolitisch ist, darf gesagt werden, dass wir eine Rechtsprechung und eine Rechtsfindung bei politischen Tatbeständen nicht haben.
Bei einer administrativen Maßnahme, etwa der Verweigerung einer Schankkonzession, nimmt ein vollsinniger Mensch an, dass die verweigernde Behörde mit der Begründung ihrer Ablehnung einen objektiven Befund festgestellt habe; sie hat nur vom Verfügungsrecht einer verwaltenden Staatsbehörde Gebrauch gemacht. Die Konzessionsverweigerung entehrt den abgewiesenen Schankwirt nicht, sie besagt auch nichts über das tatsächliche Bedürfnis nach Schankstätten. Ein solcher Beschluss ist nichts als eine Maßnahme der Verwaltung, vorgenommen aus Zweckmäßigkeitsgründen. Folgerungen sind nicht daran zu knüpfen – jede Tätigkeit einer Verwaltungsbehörde sagt nur über sie selbst etwas aus.
So, genau so sind die Gerichtsurteile der letzten Jahrzehnte anzusehen, soweit sie sich mit rein politischen Tatbeständen befassen. […] Deutsche Richter weiterlesen

Was darf die Satire?

Frau Vockerat: »Aber man muß doch
seine Freude haben können
an der
Kunst.«
Johannes: »Man kann viel mehr haben
an der Kunst als seine Freude.«
Gerhart Hauptmann

Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel.
Satire scheint eine durchaus negative Sache. Sie sagt: »Nein!« Eine Satire, die zur Zeichnung einer Kriegsanleihe auffordert, ist keine. Die Satire beißt, lacht, pfeift und trommelt die große, bunte Landsknechtstrommel gegen alles, was stockt und träge ist. Satire ist eine durchaus positive Sache. Nirgends verrät sich der Charakterlose schneller als hier, nirgends zeigt sich fixer, was ein gewissenloser Hanswurst ist, einer, der heute den angreift und morgen den.
Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist: er will die Welt gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an. Die Satire eines charaktervollen Künstlers, der um des Guten willen kämpft, verdient also nicht diese bürgerliche Nichtachtung und das empörte Fauchen, mit dem hierzulande diese Kunst abgetan wird. Was darf die Satire? weiterlesen

Blick in ferne Zukunft

robin-stege-schafe … Und wenn alles vorüber ist -; wenn sich das alles totgelaufen hat:

der Hordenwahnsinn, die Wonne, in Massen aufzutreten, in Massen zu brüllen und in Gruppen Fahnen zu schwenken, wenn diese Zeitkrankheit vergangen ist, die die niedrigen Eigenschaften des Menschen zu guten umlügt;

wenn die Leute zwar nicht klüger, aber müde geworden sind; wenn alle Kämpfe um den Faschismus ausgekämpft und wenn die letzten freiheitlichen Emigranten dahingeschieden sind:
dann wird es eines Tages wieder sehr modern werden, liberal zu sein.

Dann wird einer kommen, der wird eine gradezu donnernde Entdeckung machen: er wird den Einzelmenschen entdecken. Er wird sagen: Es gibt einen Organismus, Mensch geheißen, und auf den kommt es an. Und ob der glücklich ist, das ist die Frage. Dass der frei ist, das ist das Ziel. Gruppen sind etwas Sekundäres – der Staat ist etwas Sekundäres. Es kommt nicht darauf an, dass der Staat lebe – es kommt darauf an, dass der Mensch lebe.

Dieser Mann, der so spricht, wird eine große Wirkung hervorrufen. Die Leute werden seiner These zujubeln und werden sagen: »Das ist ja ganz neu! Welch ein Mut! Das haben wir noch nie gehört! Eine neue Epoche der Menschheit bricht an! Welch ein Genie haben wir unter uns! Auf, auf! Die neue Lehre!«

Und seine Bücher werden gekauft werden oder vielmehr die seiner Nachschreiber, denn der erste ist ja immer der Dumme.

Und dann wird sich das auswirken, und hunderttausend schwarzer, brauner und roter Hemden werden in die Ecke fliegen und auf den Misthaufen. Und die Leute werden wieder Mut zu sich selber bekommen, ohne Mehrheitsbeschlüsse und ohne Angst vor dem Staat, vor dem sie gekuscht hatten wie geprügelte Hunde. Und das wird dann so gehen, bis eines Tages…

Kurt Tucholsky, 1930. Aufgenommen auch in: “Deutschland, Deutschland über alles”