„Das Prekariat ist nur ein ästhetisches Problem“

Was die G20-Krawalle bildsymbolträchtig gezeigt haben, untermauert nun eine populistische Studie zu den „Einstellungen bei Wählern und Nichtwählern
vor der Bundestagswahl 2017“: es gibt allenfalls etwas Rauch um nichts. In einer Pressemitteilung heißt es zusammenfassend und sinngemäß: die etablierten Parteien haben nichts zu befürchten, ihr Geschäft ist nicht in Gefahr.
Mangels anderer Themen sprach der Helgoländer Vorbote trotzdem mit Fred Steinhauer-Bertelsmann, dem Leiter eines Gütersloher Debattierclubs, über deutsche Revolutionsgefahren und das Kulturgut des Kadavergehorsams.

populistische-forschungsfragen-zur-traegheit-der-deutschenHV: Herr Bertelsmann, nach Ihrer aktuellen Erforschung der Deutschen trauen die meisten Bürger eher Politikern als anderen Bürgern ihre politische Vertretung zu. Wie ist dieses gesunde Misstrauen zu bewerten?

Bertelsmann: Die meisten Menschen wünschen sich einen starken Führer. Das kann natürlich nicht ihr Nachbar sein, denn von dem wissen sie ja grob, wie er tickt. Politiker bieten sich professionell als Führer an. Aber wenn den Wählern ein guter Schauspieler oder ein Milliardär zur Auswahl steht, nehme sie auch den als Häuptling.

HV: Was kann die Demokratie gegen den populistischen Rest tun, der Berufspolitiker für unfähig, korrupt, raffgierig oder einfach unerträglich langweilig hält?

Bertelsmann: Unsere Demokratie ist da sehr robust. Wer Politikern nicht traut, wählt sie nicht – und nimmt sich damit erfreulicherweise selbst die Möglichkeit auf Mitbestimmung. [siehe Grafik]  Außerdem liebt der typische Populist seine Opferrolle, die würde er nie freiwillig aufgeben.

HV: Halten Sie es nicht für eine Gefahr, dass immer mehr Menschen den bundesweiten Volksentscheid fordern und damit das politische Fachpersonal in wichtigen Fragen entmachten wollen?

Bertelsmann: Auch hier ist unsere Demokratie sehr robust. Ganz gleich, was der ein oder andere Politiker in Wahlkampfzeiten sagt, am Ende wird er die Einführung des Volksentscheids immer ablehnen. Das hat die letzten 68 Jahre geklappt, es gibt keinen Grund anzunehmen, daran werde sich etwas ändern. Die ewige Debatte um Volksentscheide ist ein sehr effizientes Hamsterrad, in das man viele Querulanten bekommt, die sich darin dann müde laufen können, ohne dem System irgendwie zu schaden. Ich sage schon lange: nur per Volksentscheid könnte in Deutschland der Volksentscheid eingeführt werden. [klopft sich auf die Schenkel]

HV: Ihre Studie hat, wenn wir sie richtig verstanden habe, ergeben, dass unter den Ungebildeten „schon fast vier von zehn Wahlberechtigte“ Veränderungen des politischen Systems wollen. Bei den Schlauen mit Abitur sind das nur 14,2%. Braut sich da nicht was zusammen im Prekariat?

nichtwaehler-bellen-aber-beissen-nichtBertelsmann: Natürlich sind die Deppen immer ein Problem. Deshalb ist es wichtig, dass die neuen Zensurmaßnahmen sie vor allem in den sozialen Medien vom Publikum abklemmen. Aber das ist mehr ein ästhetisches Anliegen. Auch der dümmste Hund weiß, dass er besser nicht die Hand beißt, die ihn füttert. Und unsere Zahlen bestätigen das deutlich: die meisten Weltveränderer kläffen mal laut in die Gegend, sind aber sediert genug, unserem System nicht zu schaden.

HV: Trotz der zum Teil beeindruckenden Zahlen geben Sie mit Ihrer Studie also Entwarnung für das Establishment?

Bertelsmann: Man kann unsere Studie auch als Leistungsschau lesen. Der Kapitalismus funktioniert, Bertelsmann geht es gut und das mit Brot und Medien versorgte Volk macht uns keine ernsthaften Probleme.

HV: Vielen Dank für unser demagogisches Gespräch.

Angaben nach dem HV-Transpirationskodex
Abbildung eins: aus dem da von Seite fünfzehn
Abbildung zwei: aus demselben von Seite

2 Gedanken zu „„Das Prekariat ist nur ein ästhetisches Problem“

  1. Ihre Überschrift deutet ein Zitat an, dass ich so aber gar nicht gesagt habe. Ich sprach von Deppen, nicht vom Prekariat.

    1. Zitate als Überschriften müssen praktisch immer von uns Journalisten erfunden werden, weil die Interviewpartner nicht ordentlich auf den Punkt formulieren. In manchen Medien werden daher gleich die kompletten Gespräche von der Redaktion geschrieben. Etwas mehr Dankbarkeit wäre aus unserer Sicht da angebracht.

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