Visitenkarte

Als das Pärchen im französischen Film mit deutschen Untertiteln zum dritten Mal in der gleichen, vermutlich selben Stellung vögelt, klappt die Besitzerin eine Sitzreihe schräg vor mir ihren Laptop zu. Im Gegensatz zu ihr war ich noch nicht fertig. Oder wartet auch sie nur auf einen mehr Entfaltungsmöglichkeiten bietenden Ortswechsel, um den Film weiter zu schauen?
Dass ich den Film bis hierher geschaut habe, hat doch sie zu verantworten! Es war nicht mein Plan, ich wollte arbeiten. Bin ich ein Kollateralschaden, wie der Passant, der unfreiwillig zum Unfall-Zeugen wird, der mit seinem Trauma aber alleingelassen wird, weil er nicht als Beteiligter gilt?
Ich erhebe mich, um Richtung ICE-Bordrestaurant zu gehen – und sage im Vorbeigehen: “Auf revoir”

(Fred Steinhauer)

Krähen zerstören Lichtschranke der Bahn

19:30 Uhr, Anfang Mai, ein Zug der HLB öffnet auf Knopfdruck immerhin schon die Türe, um Reisende eines verspäteten ICE aufzunehmen, für die sich nun eine zweistündige Verschiebung ergibt (eine dichtere Taktung gibt es im Entwicklungsland D nur auf ausgesuchten Strecken, aber niemals so spät in der Nacht). Da der Dieselmotor des Triebfahrzeugs noch nicht ökodynamisch vor sich hin lärmt und somit logischerweise die Klimaanlage nicht läuft (Bahnlogik: ohne Ölverbrennung keine Kälte), organisiert ein leitungserfahrener Fahrgast einen alle 5 Minuten wechselnden Türsteherdienst, damit durch die gezielte Behinderung der Lichtschranke die Wagontür am piependen Schließen gehindert wird und angenehme Außenluft (Anfang Mai!) in das subtropisch sonnentemperierte Transportbehältnis zieht.

Die lebensrettende Sofortmaßnahme wird gut 30 Minuten vor dem planmäßigen Abflug jäh beendet. Interessant ist die Begründung des Hessischen Landknipsers: dadurch, dass wir der Lichtschranke ein Beinchen stellen, gehe die Türautomatik kaputt.

Was wir tief erschrocken sofort in unseren Glaubenskanon aufnahmen. Gibt es doch bei der Bahn nichts, was nicht leichterhand kaputt gehen könnte.

Kotzen ist das Friedlichste, was wir tun können

Mit seiner Performance zum Unterschied zwischen Kritik und Schmähkritik ist Jan Böhmermann ein Meisterwerk der Satire geglückt (die Kollegen sind noch Wochen danach vor Entzücken der Welt entrückt…). Doch offenbar hat Böhmermann nicht das Format für einen Satiriker. Als er sich nun nach wochenlanger Reifezeit via ZEIT zurückgemeldet hat, gibt er – bemüht wirkend – nur den Komiker. Message nach all dem Rummel? Null! Steigerung, neuer Impuls, Persiflage des massenhaft publizierten Schwachsinns? Nichts! Keine Schmähung all der Flachpfeifen, die mit ihrer Verstand ersetzenden Piefigkeit die Abflüsse der Nachrichtenströme verstopft hatten. Stattdessen etwas – offenbar nicht gespielte – Weinerlichkeit, wie sie schon vorher in der “Causa Erdogan” von ihm zu vernehmen war. Wie elend. Kotzen ist das Friedlichste, was wir tun können weiterlesen

Künstleraufruf: Für das Recht auf Beleidigtsein

satire-halalDer Fall Böhmermann und die auch nach zwei Wochen intensive, aber gleichwohl ergebnislose juristische Diskussion um die Zulässigkeit einer Satire zeigen überdeutlich, welch Rechtsunsicherheit mit dem Straftatbestand der Beleidigung verbreitet wird. Welches Arschloch darf man in diesem freien Land ein Arschloch zeihen? Niemand weiß es, und im Einzelfall entscheiden Wetter und Menstruation.

Wir Freunde des freien Wortes und der nackten Künste fordern die Abschaffung des Repressionsparagraphen 185 StGB! Der Meinungs- und Kunstfreiheit darf der gestrige geistige Horizont einzelner Journalisten und Religionsfetischisten keine Schranken bilden.
Was Juristen “Beleidigung” nennen, ist Kritik, die nur trifft, wenn sie zutrifft. Die Beleidigung ist ein Schuh, den sich ein Beleidigtfühlender selbst anziehen muss.

Angesichts des Wahnsinns in dieser Welt und seiner ungestraft herumlaufenden Protegés braucht es viel mehr öffentliche Wut, die derzeit unter § 185 StGB fällt. Deshalb: hinfort mit ihm, dem sackdummen Ziegenparagraphen.

Beleidigte Leberwürste gehören in die Pfanne, nicht auf die (Neben-)Klägerbank.

Unterzeichnen Sie jetzt!

PS: Wer es ausführlicher braucht: “Beleidigungsfreiheit ist ein Grundrecht
Darin u.a.: “Richter haben nicht über Kunst zu befinden. Ein Konzert, der Vortrag eigener Lieder vor Publikum, dürfte unstreitig Kunst sein. Richtern steht es schlicht nicht zu, nun einzelne Teile, Sequenzen, Minuten, Räume oder was auch immer vom Kunstbegriff auszunehmen: das verbietet die Freiheit der Kunst, die nicht unter einem richterlichen Gefallensvorbehalt steht.
Allerdings bräuchte es für eine sanktionsfreie Arschloch-Zeihung gar keine Kunstfreiheit – die Meinungsfreiheit aus demselben Artikel 5 des Grundgesetzes muss dafür völlig genügen.
Schon die Unterscheidungsversuche von Meinung und Tatsachenbehauptung sind Mumpitz – und zwar, da haben wir den Salat: wahlweise Meinungs- oder Tatsachen-Mumpitz.
Andererseits wird sehr häufig eine Tatsachenbehauptung gar nicht geprüft, sondern mit der üblichen richterlichen Larmoyanz als Schmähkritik (also: nicht-zulässige­ Meinung) weggewischt. Unter anderem das „Arschloch“ eben. Denn selbstverständlich, bitte schön, das weiß jeder, gibt es Arschlöcher auf der Welt, und leider nicht zu knapp. Doch anstatt sich die Mühe einer Prüfung zu machen, ob dies auf den so Bezeichneten aus dem Kontext des Bezeichnenden heraus zutrifft, rümpft  der Richterstand nur kurz die Nase und schüttelt den Kopf: durchgefallen. Qua unserer gottgegebenen Beurteilungsvollmacht.
Oder haben Sie schon mal eine Beweisaufnahme erlebt zur Klärung des Arschlochfaktors eines Klägers?”

Deutsche Richter

Von einer Vertrauenskrise der Justiz kann in Wahrheit keine Rede mehr sein. Eine Krise ist jener ungewisse Zustand, in dem sich etwas entscheiden soll: Tod oder Leben – Ja oder Nein. Die deutsche Arbeiterschaft hat entschieden: Nein.
Abgesehen davon, dass es keinen unpolitischen Strafprozess gibt, weil in der Welt überhaupt nichts unpolitisch ist, darf gesagt werden, dass wir eine Rechtsprechung und eine Rechtsfindung bei politischen Tatbeständen nicht haben.
Bei einer administrativen Maßnahme, etwa der Verweigerung einer Schankkonzession, nimmt ein vollsinniger Mensch an, dass die verweigernde Behörde mit der Begründung ihrer Ablehnung einen objektiven Befund festgestellt habe; sie hat nur vom Verfügungsrecht einer verwaltenden Staatsbehörde Gebrauch gemacht. Die Konzessionsverweigerung entehrt den abgewiesenen Schankwirt nicht, sie besagt auch nichts über das tatsächliche Bedürfnis nach Schankstätten. Ein solcher Beschluss ist nichts als eine Maßnahme der Verwaltung, vorgenommen aus Zweckmäßigkeitsgründen. Folgerungen sind nicht daran zu knüpfen – jede Tätigkeit einer Verwaltungsbehörde sagt nur über sie selbst etwas aus.
So, genau so sind die Gerichtsurteile der letzten Jahrzehnte anzusehen, soweit sie sich mit rein politischen Tatbeständen befassen. […] Deutsche Richter weiterlesen

Aussterbende Wörter: “Reiseruf”

Da hatte das sich für jung haltende Volk aber was zu lachen. Wegen einer Streckensperrung hält der ICE aus Berlin nicht wie geplant und von manch einem gebucht in Wolfsburg. Das kann man mit Youtube-Fail-trainiertem Humorverständnis an sich schon lustig finden. Doch dann sagt der Schaffner noch folgendes durch: “Ein Reiseruf für Herrn Müllermeierschmidt mit dem Reiseziel Wolfsburg: Bitte fahren Sie mit uns bis Braunschweig, Sie werden dort am Bahnhof abgeholt.”

Eine solche, sicherlich an einen tüddeligen Opa adressierte Information ist für Menschen, die jede gemutmaßte Zugverspätung von 30 Sekunden mindestens Mama, Oma und den zwei besten Freundinnen mitteilen müssen, damit die sich keine Sorgen machen und schon mal das nötige Mitleid aufbauen für diese erlittenen Reisekatastrophen, was bis vor der Verbreitung von Whatsapp zwar nicht durch den ganzen Zug, aber doch durch den halben Wagon schwappte und das gleich von einem halben Dutzend Sendestationen, verständlicherweise lächerlich.

ZDF fordert Schießbefehl gegen Pegida

heute-show-storch-pegidaDie ZDF-Sendung “heute show” hat unter dem Applaus tausender Fans den Schießbefehl gegen Pegida-Anhänger gefordert. In einem Interview mit dem Mannheimer Morgen sagte Anchorman Oliver Welke: “Die Sittenpolizei muss den illegalen Grenzüberschritt verhindern, notfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch machen. So steht es im Gesetz, Artikel  1 GG.” Allerdings dürfe nur jetzt im Winter außerhalb der Wurfzeit geschossen werden und nur auf Pegidaisten, die das deutsche Wort “Halt” nicht verstehen. Schließlich schieße auch ein Fußballerklärer nicht gerne, wenngleich der Jubel der Südkurve natürlich verlockend sei.

Polizei zieht gefährliche Autofahrer aus dem Verkehr

Schlechte Leistung der Kasseler Polizei: Nur eine Bissverletzung schaffte der Kasseler Polizeisportverein Haudrauf 1998 am Wochenende bei den German Open im Querfeldein-Catchen. Zwar setzte ein flüchtiger 16-Jähriger das elterliche Auto sehr schön gegen einen Baum, blieb dabei jedoch unverletzt. Erst bei der weiteren Verfolgung zu Fuß gelang es der Polizei, mit Polizeihund Zsölmer eine Bissverletzung in den Unterschenkel zu setzen. Die Wertung der Punktrichter lag bei Redaktionsschluss noch nicht vor.

Ziel des polizeilichen Querfeldein-Catchens ist es, möglichst junge Leute spontan in die Flucht zu schlagen und in einen Unfall zu treiben. Die voll Punktzahl für einen Finalcrash kann dabei nur selten vergeben werden. Im Mai 2014 setzte in Hameln ein vor der Polizei flüchtender 32-Jähriger sich, seinen VW Golf und einen Beifahrer frontal vor einen LKW. Den Lappen brauchte er danach nicht mehr, die MPU entfiel.
Ähnlich erfolgreich operierte die Polizei im September 2012 bei Senftenberg: auf der Flucht kommt dem Golf ein Straßenbaum in die Quere,  der 22-jährige Jüngling stirbt.
Ähnlich Dezember 2011 in Irgertsheim (Foto, ausführlicher Polizeibericht), wofür die Komiker vom Darwinpreis den Begriff “Polizeiflüchtling” schöpften.
Einen 27-Jährigen brachte die Polizei November 2011 auf der Kreisstraße SAD bei Schwarzenfeld/ Regensburg zur Strecke.
Einen Toten (18) und einen Schwerstverletzten (22) erzielte die Polizei bei Osterwieck  im Harz April 2014. In Mönchengladbach verfolgt die Polizei im Februar 2012 einen 17-Jährigen, doch an seiner statt blieb die 19-jährige Beifahrerin auf der Strecke.
Eine besonders schöne Choreographie gelang einer polizeilichen Verfolgung im Januar 2015 bei Hoyerswerda: der Delinquent versuchte als Geisterfahrer zu entkommen, schaffte es aber nur bis zum Geist.

Im Dezember 2008 gelang es der Berliner Polizei , einen 19- und einen 21-jährigen  aus dem Verkehr zu ziehen.   In Ismaning hingegen floss trotz 15-minütiger Verfolgung mit 90 Sachen durch Tempo 30-Zonen, 10 Einsatzwagen und einem vorbildlichen Stop am Baum kein Blut.  Ganz kläglich scheiterten auch die Beamten in Neumarkt/ Deining, wo es ihnen selbst mit Hubschraubereinsatz nicht gelang, zwei Mundwasserdiebe zu stellen.

Dickes Ding bei FOCUS

untaetigkeitsvorwurfMan muss sich in diesem Land ja viel anhören, von allen Seiten, aber das ist doch ein dickes Ding jetzt, was der Focus uns vorwirft: Untätigkeit nämlich, Faulheit, Müßiggang. Weil wir nicht schnell genug mit sozialer Interaktion eine Lesebestätigung gesetzt haben, giftet uns diese Münchner Illustrierte an:  “Sie waren einige Zeit inaktiv.”

Aber was mag bei den Focüssen schon “inaktiv” sein, wenn wir uns betrachten, in was ihre Aktivität besteht: in unserem Browser herumzupfuschen, eine aufgerufene Seite unlesbar zu machen und uns mitzuteilen, dass sich die Welt auch in den letzten Sekunden weiter gedreht hat.

Unsere analogen Heftchen in der Redaktion merken sich übrigens auch die zuletzt aufgeschlagenen Bilder. Wenn nicht irgendein Praktikant sie verblättert, wird dieser Service dauerhaft und ohne einen Anflug von Leistungsstolz angeboten.

Und ohne Aufdringlichkeit – mit der uns zuletzt die FAZ begegnete, welche uns nicht für faul, sondern nur für senil hält: “Falls Sie es verpasst haben: Dieser Artikel hat Sie diese Woche besonders interessiert.”

Was darf die Satire?

Frau Vockerat: »Aber man muß doch
seine Freude haben können
an der
Kunst.«
Johannes: »Man kann viel mehr haben
an der Kunst als seine Freude.«
Gerhart Hauptmann

Wenn einer bei uns einen guten politischen Witz macht, dann sitzt halb Deutschland auf dem Sofa und nimmt übel.
Satire scheint eine durchaus negative Sache. Sie sagt: »Nein!« Eine Satire, die zur Zeichnung einer Kriegsanleihe auffordert, ist keine. Die Satire beißt, lacht, pfeift und trommelt die große, bunte Landsknechtstrommel gegen alles, was stockt und träge ist. Satire ist eine durchaus positive Sache. Nirgends verrät sich der Charakterlose schneller als hier, nirgends zeigt sich fixer, was ein gewissenloser Hanswurst ist, einer, der heute den angreift und morgen den.
Der Satiriker ist ein gekränkter Idealist: er will die Welt gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt er gegen das Schlechte an. Die Satire eines charaktervollen Künstlers, der um des Guten willen kämpft, verdient also nicht diese bürgerliche Nichtachtung und das empörte Fauchen, mit dem hierzulande diese Kunst abgetan wird. Was darf die Satire? weiterlesen